SNF-Projekt
Das ‹Evangelium der Natur›. Der griechische Physiologus und die Wurzeln der frühchristlichen Naturdeutung (2014–2017)
Lead
Was hat der Pelikan mit Christus zu tun oder das Einhorn mit der Jungfrau Maria? Antworten auf solcherlei Fragen findet man im ‹Physiologus›, einer griechischen, wohl im 2. Jhdt. n.Chr. in Ägypten verfassten Schrift. Unter Aufnahme biblischer wie paganer Motivik und Hermeneutik bietet sie erstmals eine christliche, christologische Gesamtdeutung der Natur. Über mittelalterliche Bestiarien findet die Symbolik des Physiologus Eingang in Kunst, Literatur und Heraldik. Die Bedeutung dieser tief in antiker Naturlehre und biblischer Motivik verwurzelten, christologisch ausgedeuteten Bildsprache bleibt heutzutage vielfach rätselhaft. Das vorliegende Projekt setzt es sich zum Ziel, die Wurzeln dieser alten Natursymbolik des Physiologus aufzudecken und so einen hermeneutischen Schlüssel zu ihrer Deutung zu erarbeiten.
Lay summary
Die Schrift war von Anfang an überaus weit verbreitet: Ausser der Bibel wurde kein Buch der antiken christlichen Literatur häufiger übersetzt. Die wenigen Arbeiten, die sich mit dem Physiologus beschäftigen, behandeln ihn vor allem als Quelle mittelalterlicher Bestiarien und Enzyklopädien. Der Bezug zur pagan-religiösen wie biblischen Literatur bleibt hingegen meist ausser Betracht. Ziel des Projekts ist es, über eine Analyse der jüdisch-christlichen wie paganen Wurzeln der Natursymbolik des Physiologus sowie seiner Deutungstechnik einen Schlüssel zum Verständnis dieser Symbolik zu erarbeiten. Zugleich soll die theologische Gesamtkonzeption der Schrift vor dem Hintergrund ähnlicher bildhafter Interpretationsverfahren in zeitgenössischen platonischen Literatur jüdischer und christlicher Provenienz (insb. Philon von Alexandrien, Klemens von Alexandrien) erarbeitet werden. Die frappierende Nähe der Verbindung von Tiersymbolik mit theologischer Spekulation bei Plutarch (ca. 45–120 n.Chr.) in seiner Interpretation der ägyptischen Tierverehrung mit Naturdeutung des Physiologus ist zwar vermerkt, bis heute aber nicht näher untersucht worden. Es soll geprüft werden, ob sich die Deutungsmethode des Physiologus und ihre onto-theologischen Grundlagen in den Kontext platonischer Ontologie und Epistemologie alexandrinischer Prägung einordnen lassen. Die Schrift liesse sich auf diesem Hintergrund als ‹Physio-Logos› deuten, der das ‹Evangelium der Natur› entfaltet, indem er Christus als ‹Logos› (Joh 1,1) in der Natur (‹Physis›) entdeckt und verkündigt.